Systemwandel und Geschichte

Systemwandel und Geschichte

Wer etwas ändern will, der muss auch wissen, was möglich ist und wie man das Mögliche verwirklicht. Man muss vereinen: wissenschaftliches Denken, gesellschaftliches Engagement, produktive Tätigkeit, politische Organisation, Emanzipation und Revolution. Das zeigt auch die Geschichte.

Die Geschichte kann nicht reduziert werden auf objektive oder subjektive Ereignisse, manchmal kommt sie planmäßig, manchmal zwangsläufig. Die Einheit objektiver und subjektiver Faktoren bewirkt, dass die Geschichte vielfältig verläuft, mit nicht vorherbestimmten Resultaten. Sie ist keine Entäußerung absoluter Ideen oder transzendentaler Begriffe, der Wille zur Macht ist begrenzt. Sie ist mehr als eine Geschichte von Herrschern, die Ideengeschichte ist ein Teil dualistischer Zusammenhänge. Es gibt auch keinen objektiv gegebenen Endzustand, nach dem die Geschichte strebt oder den sie schon erreicht hat. Aber es gibt eine Kontinuität von Möglichkeiten im doppelten Sinne, als Wiederholung und als Fortschritt: Viele Faktoren der Geschichte bleiben lange Zeit stabil oder dauerhaft erhalten oder sie kommen wieder. Dazu gehören vor allem die natürlichen Bedürfnisse der Menschen und die natürliche Umwelt. Und manchmal sind Veränderungen irreparabel, man kann sie nicht mehr rückgängig machen, z.B. den wissenschaftlich-technische Fortschritt oder die Entwicklung des Denkens – der menschliche Geist bleibt, wenn er einmal da ist. Die Selbstveränderung des Geistes schafft auch neue objektive und subjektive Möglichkeiten. Auf diese Weise entsteht kontinuierlicher Fortschritt.

Wir wollen einen gewaltlosen, wissenschaftlich begründeten und demokratisch legitimierten Systemwandel. Und die Frage lautet: Ist das objektiv und subjektiv möglich? Was muss getan werden? Werfen wir einen Blick in die Geschichte:

Man muss nicht alles gut finden, was die Engländer getan haben. Aber 1688 waren sie klug und weise. Da gab es die gloriose Revolution. Nachdem sich der englische Adel und das Bürgertum fast 100 Jahre lang bekämpften, gingen sie einen Kompromiss ein. Die feudale Gesellschaft wurde nicht beseitigt, sie wurde ergänzt durch die bürgerliche Gesellschaft. Die absolutistische Monarchie wurde verwandelt in eine konstitutionelle Monarchie, der König durfte weiter regieren, musste aber die Macht teilen mit einem Parlament. Der Großgrundbesitz blieb erhalten und zugleich wurde das bürgerliche Eigentum gefördert. Der Staat und das Geldsystem sicherten die ökonomische Existenz des Adels und zugleich die freie Marktwirtschaft. Adlige Militärs eroberten Kolonien und Kapitalisten durften sie ausbeuten. Die Interessen des Adels und des Bürgertums wurden ergänzt durch übergreifende nationale Interessen. Das alles hat funktioniert, wir wissen was aus England geworden ist.

Deutschland zählte bei der Überwindung des Mittelalters zu den Schlusslichtern in Europa und brauchte Unterstützung durch andere Nationen. Wie wäre es, wenn wir diesmal zu den Pionieren des Fortschritts gehören? Wie wäre es mit folgenden Maßnahmen:

-Die bürgerliche Gesellschaft wird ergänzt durch die egalitäre Bürgergesellschaft und die Marktwirtschaft durch eine gemeinwohlorientierte Ökonomie. Für diesen Übergang werden politische Programme erarbeitet und umgesetzt.

-Der Staat und das Geldsystem sichern das Funktionieren des Vorhandenen und fördern neue Wege zur Lösung ökonomischer und gesellschaftlicher Probleme. Die vorhandenen Interessen gesellschaftlicher Gruppen werden ergänzt durch gesamtgesellschaftliche Interessen. Es gibt keine Alleinherrschaft, nirgendwo.

-Das wissenschaftliche Denken wird in allen Gesellschaftsgruppen und in allen Bereichen gefördert. Es geht nicht nur um die ökonomische Verwertbarkeit der Wissenschaft, es geht um eine neue Kultur, um Emanzipation, um Würde und Freiheit.

-Es sind alle Verhältnisse zu überwinden, die Menschen abhängig machen von Fremdbestimmung. Die vorhandenen Menschenrechte werden ergänzt durch emanzipatorische Menschenrechte.

Die gloriose Revolution war auch deshalb erfolgreich, weil brauchbare Theorien entstanden. Der führende Kopf war John Locke. Seine Philosophie und seine politische Ökonomie förderten den Kompromiss und waren an der Lösung praktischer Probleme orientiert. Seine sensualistische Erkenntnistheorie ging aus von der Annahme, dass die Ideen im Kopf der Menschen nicht vorgegeben sind, sondern im Leben entstehen, durch die Erkenntnis handelnder Menschen. Es gibt auch keine moralische Überlegenheit. Der Herrscher und der Beherrschte sind gleich im Vernunftgebrauch, und was vernünftig ist, wird gemeinsam vereinbart. Diese Ansätze haben sich bewährt und sind zu bewahren. Neu zu beantworten ist die Frage, woher neue Ideen kommen. Kreativität und Initiative dürfen nicht das Privileg von Eliten bleiben. Niemand sollte gezwungen sein, sich als Knecht zu verkaufen, weil sein Geldbeutel und sein Kopf leer sind. In der politischen Ökonomie hat John Locke ebenfalls den Kompromiss theoretisch begründet. Es entstand eine Mischung aus feudalistischem Merkantilismus und freier Marktwirtschaft. Damit konnten alle ökonomischen Akteure leben und es entstand ein enges Zusammenwirken von neuadligem Grundeigentum, Handelskapital und Manufakturkapital. Der feudale Staat behielt seine ökonomische Macht und förderte die Warenproduktion. Heute müssen zusätzlich zur politischen Ökonomie des Kapitalismus neue Ansätze gefunden werden, die Nachhaltigkeit und Emanzipation fördern. Hier kann nicht die Ware die Elementarform der politischen Ökonomie sein, sondern die Arbeits- und Lebenswelten als Ganzes müssen einen Gebrauchswert, einen Wert und einen Preis erhalten.

Um Wege zu finden für die Lösung der neuen philosophischen, soziologischen und ökonomischen Probleme wurde der dualistische Realismus entwickelt. Siehe Plattform 4.

Gerhard Bernhardt